Wenn ich euch sage, dass ich viele Jahre im Nachstieg (das heißt, das Seil kommt von oben und man ist immer bestens gesichert) geklettert bin, dann fragen sich sicherlich Einige, warum ich nicht früher mit dem Vorstiegsklettern – siehe dazu meinen Beitrag über die Faszination klettern – begonnen habe. Bislang war die Vorstiegsangst immer present. Wie ich diese aber überwinden konnte, das zeige ich euch hier:
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Dieses “Warum” hat sich so ergeben.
Früher – ich sag mal so vor 35 Jahren, als ich mit dem Klettern begonnen habe, war es eigentlich so, dass der Mann den Vorstieg übernommen und ich ohne darüber je einen Gedanken zu verlieren, nachgestiegen bin. Wir hatten unserem Spaß, kletterten in den Klettergärten und auch viele Mehrseillängen Routen in den Alpen.
Als dann unsere Kids mit dem Klettern begonnen hatten, war es dann relativ schnell mal soweit, dass sie sich in den Vorstieg wagten. Ohne Furcht und Angst, sie kletterten einfach. Es ging dann alles sehr schnell, bis sie richtig schwere Touren im Vorstieg geklettert sind. Jürgen kletterte bereits mit 12 Jahren seine erste 8a! Nachstieg war für sie uninteressant – es galt nur der Vorstieg.
Jürgen, damals ca. 10 Jahre alt, hat mich dann mal gefragt, „Mama, wieso steigst Du nicht vor? und Kommentare wie „Mama, du weißt ja gar nicht, wie das vorsteigen ist“ haben mich dann zum Nachdenken gebracht und ich musste zugeben, dass ich eigentlich nie ernsthaft versucht habe, Routen im Vorstieg zu klettern.
Aber das war dann eigentlich der ausschlaggebende Punkt dafür, dass ich gesagt habe, ich will den Vorstieg versuchen. Sicher war ich auch schon vorgestiegen aber nur im 3. + 4. Grad oder hin und wieder mal schwerer, aber es war nicht die Regel. Aber nun ging es daran, im 5. Grad und schwieriger vorzusteigen.
Ich bin dann gleich mal auf dem Boden der Realität gelandet, da die Routen, welche ich im Nachstieg klettern konnte, nie und nimmer im Vorstieg gingen. Ich kletterte mindestens 3 Grade leichter im Vorstieg. Das war natürlich bitter. Und dann begann der lange Weg, die Vorstiegsangst zu überwinden.
Dass mein Kopf so nicht mitspielte wie ich es gerne hatte, war einfach nicht zu fassen. Ich versuchte mir einzureden, dass ich ja im Nachstieg die Route easy klettern konnte, dass das ja nicht so schwierig sein kann im Vorstieg usw., aber der Vorstieg wollte und wollte nicht richtig klappen.
Wie überwinde ich meine Vorstiegsanst
Ich habe dann wirklich sehr, sehr lange ganz viele leichte Routen im Vorstieg geklettert. Die Route war eigentlich viel zu leicht für mich, aber für den Kopf war es gut. Und siehe da, es ging. Ich konnte auf einmal die leichten Routen ohne Angst im Nacken klettern. Ich hatte keine Panik mehr, wenn ich mal etwas weiter über dem Haken stand. So steigerte ich mich dann und versuchte mich in den schwierigeren Routen.
Es war dann so, dass meistens die Exen in den Routen die ich versuchte, schon vorgehängt waren. Wenn die Hakenabstände dann mal weiter auseinander waren, dann wurden einfach 2 Exen aneinander eingehängt. Es war nur für den Kopf wichtig, dass optisch die Hakenabstände nicht so weit auseinander lagen. Und wieder hieß es, Routen wirklich so oft wie möglich im Vorstieg zu klettern.
Langsam stellten sich die Erfolge ein. Aber ich musste auch immer wieder mit Rückschlägen kämpfen. Es gab Tage, an denen funktionierte es sehr gut und manchmal auch nicht. Auch heute noch ist das Vorstieg klettern nicht immer so wie ich es mir wünsche. Aber ich arbeite daran.
“Wolfgang Güllich hat einmal gesagt, der Kopf
ist der wichtigste Muskel beim Klettern”
Was mir auch geholfen hat, ist das Sturztraining in der Kletterhalle. Immer wieder – vor allem im steilen Gelände – loslassen und fallen. Ich habe das dann jedes Mal, wenn wir die Kletterhalle besucht haben gemacht.
Sehr wichtig ist auch der Sicherungspartner. Wenn er dir das Gefühl gibt, dass er genau schaut, was du machst, dann ist das sehr viel Wert. Die Sicherheit, dass er jeden Sturz sanft sichert, ist extrem wichtig und gibt dir ein gutes Gefühl.
Früher, zu Beginn meiner Kletterkarriere war das stürzen tabu. Man kletterte vom Frühjahr bis in den Herbst am Fels, und hier durfte man einfach nicht stürzen. Dies hat sich heute deutlich geändert. Man klettert das ganze Jahr über, im Winter in der Halle und über die restliche Jahreszeit wenn möglich im Freien. Das Stürzen gehört nun einfach zum stärker Klettern dazu.
Was mir immer noch ein wenig schwer fällt, Routen welche ich nicht kenne und die an der oberen Skala meiner Vorstiegskünste liegen, einfach einzusteigen und die Expressschlingen selbst einzuhängen. Hier muss dann die Absicherung schon sehr gut sein, dass ich mich das traue. Auch hier kommt es bei mir immer auf die Tagesverfassung an. Wenn der Kopf mitspielt, dann kann ich wirklich schwer klettern.
Erfolge stellen sich bald ein
Wir machen das nun am Fels oftmals so, dass ich einfach in eine Route einsteige und die Expressen selbst anbringe. Ich klettere so weit wie nur möglich. Es muss nicht immer der Durchstieg sein. Auch kleinere Etappen bringen mich weiter. Ich glaube auch, dass das erarbeiten einer Route sehr wichtig für Fortschritte im Klettern sind. Dies habe ich bei der Route Kipit 7b – meine bisher schwierigste Route, welche ich im Vorstieg durchsteigen konnte, bemerkt. Man bekommt immer mehr Sicherheit und auch das Vertrauen, dass man es schaffen kann. Auch das ein in Kauf nehmen eines Sturzes gehört beim Erarbeiten einer Route dazu. Bei jedem Versuch wird man stärker und auf einmal ist das Unmögliche möglich.
Aber man muss auch sagen, dass es sehr mühsam ist, ohne wirkliches Erfolgserlebnis (sprich Durchstieg) nach dem Klettern nach Hause zu fahren. Ich war schon oft der Verzweiflung nahe, wenn der Kopf wieder mal nicht mitspielte. Somit muss man immer darauf achten, dass man trotzdem Spaß an der Sache hat. Denn sonst ist die Freude beim Klettern bald dahin. Und das ist ja nicht Sinn und Zweck, oder?
Zusammenfassend kann ich euch folgenden Rat geben:
– wählt die Routen für den Vorstieg so aus, dass ihr diese leicht vorsteigen könnt um zu üben. Damit ihr die Sicherheit und das nötige Selbstvertrauen bekommt.
– steigert euch langsam und sucht euch Routen aus, die gut abgesichert sind.
– steigt immer und immer wieder vor, auch wenn es schwer fällt. Auch wenn die Routen unter eurem Niveau sind, es geht nur darum, dass ihr es gewohnt seid, vorzusteigen. Übung macht bekanntlich den Meister.
– Wenn die Hakenabstände weit auseinander sind, verwendet Express-Verlängerungen u. schaut nicht darauf, was die anderen sagen. Mir hat das sehr viel geholfen.
– Macht regelmäßiges Sturztraining in der Kletterhalle – beginnt im steilen Gelände, wo ihr euch nicht verletzen könnt.
– Sucht euch einen Sicherungspartner auf den ihr euch vollkommen verlassen könnt.
– erarbeitet euch eine Route, wählt sie so aus, dass ihr dort auch problemlos stürzen könnt u. versucht diese, auch wenn es länger dauert, durchzusteigen.
– besorgt euch eine Panikexe (z.B. die hier), die ist bei meinen Vorstiegsversuchen immer mit dabei, auch wenn sie oft nur eine moralische Unterstützung ist. Doch oftmals ist man gerade ein wenig zu klein, um den Haken einzuhängen. Dann ist diese Panikexe sehr hilfreich.
– wenn ihr etwas unsicher seid, ob ihr die Route vorsteigen sollt, dann macht es einfach. Steigt in die Route ein, ein Versuch ist es allemal Wert. Das steigert euer Selbstvertrauen und das ist sehr wichtig für die weiteren Routen und wer weiß, vielleicht geht die Route viel besser als gedacht ;-)
Das sind meine Erfahrungen, wie ich mutiger vorsteigen konnte, was mir auch noch geholfen hat, war das Krafttraining – darüber gibt es später noch einen gesonderten Artikel. Hier zeige ich euch dann meine speziellen Übungen für mehr Kraft in den Armen, Schulter, Fingern und im Rücken / Rumpfbereich.
Hattet ihr mit der Vorstiegsangst zu kämpfen? Was hat euch geholfen, diese zu überwinden?
Auch ich muss immer wieder daran arbeiten, dass ich die Vorstiegsangst im Griff habe. Wie geht es euch dabei? Ich würde mich über regen Gedankenaustausch in den Kommentaren freuen.
2 Kommentare
toller artikel und schön zu lesen, dass nicht alle sofort top beim vorsteigen dabei waren. ich klettere ja bisher eigentlich fast nur in der halle und habe da auch schwierigkeiten mich zum vorstieg zu überwinden, was vor allem daran liegt, dass ich lange große probleme mit dem rücken hatte (zeitweise noch habe) und angst vor abrupten bewegungen, wie sie eben beim sturz nicht zu vermeiden sind. dazu klettere ich jetzt etwas über ein jahr regelmäßig und bin eigentlich zu schwer für den sport bzw. habe ich noch nicht soviel kraft. aber ich arbeite daran und habe mir für heuer auch vorgenommen, das etwas ernsthafter und intensiver zu betreiben. ob und bis ich das mal wirklich am fels mache, wird man sehen.
Hy Christina,
die Möglichkeiten in der Halle zu klettern sind wirklich genial.
Auch das klettern im Vorstieg zu üben ist perfekt.
Ich bin mir sicher, wenn man regelmäßig dran bleibt, dann werden
sich Erfolge rasch einstellen.
Viel Erfolg und vor allem viel Spaß dabei!
Liebe Grüße
Sabine